Die Schattenbanker

Die Geschichte von Dürrenmatts Klassiker "Die Physiker" hat an Aktualität nichts eingebüßt, ersetzt man "Physiker" durch "Banker", konkret durch Investmentbanker. Diese werden auch als Schattenbanker bezeichnet, weil sie neben dem Bank- und Finanzwesen, wie wir es kennen, eine Schattenfinanzwelt aufgebaut haben, die sich de facto jeglicher Kontrolle entzieht und in unvorstellbar kleinen Zieträumen unvorstellbare große Summen bewegen.

Studierende der Studiengänge Soziale Arbeit, Green Buildung, Baumanagement und Immobilienmanagement führen " Die Schattenbänker" unter der Regie von Michaela Schrader und mir erstmals auf. Die Produktion des Theaterstücks ist ein Projekt der Holzmindener Fakultät in Zusammenarbeit mit HAWK plus, einer Weiterbildungseinrichtung der Hochschule. Das Theaterstück wurde über zwei Semester entwickelt, geprobt und zur Aufführungsreife gebracht. Den dazugehörigen Presseartikel der HAWK können Sie hier einsehen.

Den Videoopener zum Theaterstück können Sie sich hier direkt anschauen.

Schattenbanker from HAWK Hildesheim on Vimeo.

Eine kurze Zusammenfassung der Physiker und die Triebfeder, weshalb ich mich für die Umsetzung der Schattenbanker entschiedenen habe, finden Sie in den folgenden Zeilen.

Die Geschichte von Dürrenmatts "Die Physiker" ist schnell erzählt: In einem Irrenhaus werden drei Physiker, die sich als Newton, Einstein und Möbius ausgeben, von der Irrenärztin, Fräulein Mathilde von Zahn, behandelt. Nach und nach bringt jeder der drei Physiker eine Krankenschwester um. Die Polizei kommt jedes Mal ins Haus, zieht aber unverrichteter Dinge weiter. Denn die drei sind ja bereits eingesperrt und zudem auch noch irr. Was gibt es da noch für die Polizei zu tun? Jedoch werden die Sicherheitsvorkehrungen dramatisch verschärft. Das weibliche Pflegepersonal wird durch Profi-Boxer ersetzt, so dass es für die drei irren Physiker kein Entrinnen gibt. Soweit die vordergründige Geschichte.

 

Nach und nach lässt Friedrich Dürrenmatt die Zuschauer und Leser hinter die Kulissen schauen. Und so offenbart sich, dass die drei Physiker jeweils von ihren Pflegerinnen bedrängt wurden. Sie gestanden ihren Anvertrauten ihre Liebe und wollten mit dem Geliebten, ihrem Physiker, ein neues Leben in der normalen Welt außerhalb des Irrenhauses beginnen.

Jeder der drei sieht sich in diesem Moment genötigt, zum letzten Mittel zu greifen. Der Gefahr, demnächst wieder in Freiheit zu leben, können sie nur entgehen, wenn sie schnell handeln. Kurzum: Jeder der drei tötet seine Pflegerin.

 

Es offenbart sich, dass alle drei Physiker große und für die Menschheit bedeutende Entdeckungen auf ihren jeweiligen Forschungsgebieten gemacht haben und ihre Studien im Irrenhaus erfolgreich fortsetzten. Alle drei sind unabhängig voneinander zu dem Entschluss gekommen, dass die Menschheit vor diesem Wissen bewahrt werden muss. Das Irrenhaus halten sie dafür für den sichersten Ort.

„Je planmäßiger der Mensch vorgeht, umso wirkungsvoller vermag ihn das Schicksal zu treffen.“ Dieser Satz am Ende des Stücks eröffnet die Tragik des ganzen Schauspiels: Der sicher gewähnte Ort ist eine Falle. Die Irrenärztin wusste von Anfang an, was die drei beabsichtigten. Sie hat sie überwacht, alle Dokumente kopiert und macht das, was die drei zu verhindern versuchten, nämlich die bedeutsamen physikalischen Erkenntnisse kommerziell zu verwerten. Für die Physiker gibt es keine Chance mehr: „Ihr seid in euer eigenes Gefängnis geflüchtet.“, resümiert die Irrenärztin. Einstein kann nur noch resignierend feststellen, dass „die Welt in die Hände einer verrückten Irrenärztin gefallen“ sei.

 

„Physik“ steht in diesem Stück für eine Wissenschaft, die Grenzen sprengt. Physiker Möbius formuliert im Stück seine Furcht: „Neue unvorstellbare Energien würden freigesetzt und eine Technik ermöglicht, die jeder Phantasie spottet, falls meine Untersuchungen in die Hände der Menschen fiele.“

In den letzten Jahren hat uns aber nicht die Physik das Fürchten gelehrt. Vielmehr hat sich eine Branche, die bisher als Ausdruck der Seriosität und der Solidität galt, demaskiert. Immer wieder mussten wir alle staunend zur Kenntnis nehmen, wie bislang namenlose Investmentbanker offensichtlich in der Lage waren, mit Milliarden von Euros „out of controll“ zu jonglieren. Immer, wenn etwas schief ging, bekamen die Spekulanten Namen.

Staunend mussten wir lernen, dass Algorithmen (da ist sie dann doch wieder, die Physik und Mathematik) die Treiber im Handel mit zum Teil unüberschaubaren Produkten in ungekannten Dimensionen in Bruchteilen von Sekunden hin und her sind.

 

Es sind Menschen, die sich das ausdenken. Und sie verstecken sich, wie Möbius, hinter dem Satz „Was einmal gedacht wurde, kann nicht mehr zurückgenommen werden.“

Gibt es Banker, die das alles noch durchschauen? Oder sind selbst die erfolgreichen Banker Glücksritter, die von den Schwächen der Masse profitieren?

Die Einführung in ein Trennbankensystem ist ein erster wichtiger Schritt. Dann können Investmentbanker sich auf ihrer Spielwiese austoben und im Zweifelsfall nur begrenzten Schaden anrichten.

Einer der letzten Sätze der „Physiker“ lautet „Was alle angeht, können nur alle lösen.“ Das ist die Herausforderung, der wir uns stellen müssten. Aber wir halten es wie die drei Affen und hoffen auf ein gutes Ende. Eine Haltung geprägt von kindlicher Naivität.

Wo sind die verantwortungsvollen Banker, die sich im Zweifelsfall mit ihrem Wissen, was alles gehen könnte, lebendig im Irrenhaus begraben ließen? Aber Pardon, mein Fehler. Banker, die so etwas tun würden, wären keine Banker – es wären Bankiers.